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Film Review: Ralph Reichts

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Videospiel- und Nerdkultur liegt voll im Trend. Früher galten Videospieler als eigenbrötlerische und verschrobene Spinner mit dicken Hornbrillen der Marke Woody Allen, die in den eigenen vier muffigen Wänden ihrer düsteren Kellerbehausungen nächtelang vor der Glotze saßen, um dem pixeligen und nur minder furchteinflößenden Endboss schließlich die Rübe einzuhauen. Heute hingegen sprengen die Budgets aktueller AAA-Videospielproduktionen alle Dimensionen und übertreffen gar die Etats der Traumschmiede Hollywood. Apple hat den Stellenwert einer Religion eingenommen – Call of Duty Serienableger verkaufen sich wie geschnitten Brot und besagte Woody Allen-Hornbrillen gelten als Inbegriff der Sexyness. Die Nerdkultur hat den Massenmarkt erreicht.

Mit dem Animationsfilm „Ralph Reichts“ (oder im Englischen das wesentlich charmantere „Wreck-it Ralph“) ist auch Zeichentrick-Gigant Disney im Land der Pixelspiele angekommen. Früher waren die Rollen klar verteilt: Die kreativen Köpfe von Pixar waren die coolen Jungs, die mit der überbordenden Fantasie und dem großen Herz. Disney hingegen schien da immer ein bisschen konservativer zu sein. Seit einigen Jahren aber zeichnet sich ein Wandel ab: 2006 kaufte Disney die kalifornischen Pixar Animation Studios auf und setzte mit Pixar-Gründungsmitglied John Lasseter einen fähigen Mann an die Spitze der eigenen Animationssparte. Natürlich ging das Ganze einher mit skeptischen Stimmen, die den naheliegenden künftigen Verlust der gewohnten Pixar-Qualitäten ob der profitorientierten Neuausrichtung betrauerten. Tatsächlich braucht man sich um die Animationsspezialisten keine Sorgen zu machen: Mit Merida – Legende der Highlands haben sie erst dieses Jahr erneut ein wunderschönes Meisterwerk gezaubert und man kann davon ausgehen, dass die Herren und Damen nach wie vor ihr Handwerk verstehen, wenn es um großartige Animationen und magische Momente geht. Stattdessen aber ist etwas anderes passiert: Auch die Disney Animation Studios haben durch die Neuausrichtung einen 180 C* Turn hingelegt, hin zu einer frischeren und qualitativ hochwertigen Form des Animationskinos: Mit Küss den Frosch, Rapunzel: Neu Verföhnt und nun eben Ralph Reichts kann man exemplarisch die drei jüngsten Werke herausgreifen, die sowohl visuell als auch narrativ zu überzeugen vermögen und ebenso wie die Pixar- und Dreamworks-Produktionen selbstbewusst, detailverliebt und mit unzähligen popkulturellen Reminiszenzen gespickt sind.

Ralph hat kein Bock mehr! Seit nunmehr 30 Jahren mimt der Hüne mit den überdimensionalen Pranken den Bösewicht im 8 Bit-Spielautomaten „Fix it Felix Jr.“, welcher seine besten Zeiten schon eine Weile hinter sich gelassen hat – Jeden Tag dieselbe zur Routine verkommene Arbeit: Er wütet (wie Donkey Kong in Donkey Kong Jr.) auf dem Dach eines Penthouses und lässt die Scheiben zerklirren, während der junge Fix it Felix Jr. getaufte Held unerschrocken die Fassaden des Hochhauses erklimmt und mit seinem magischen goldenen Hammer alles wieder ins Lot bringt. Die Moral von der Geschichte: 50 ct in den Münzeinwurfschacht definieren Sieger und Verlierer – Und wie an jedem Tag der vergangenen dreißig Jahre ist Ralph wieder der Buhmann, der ewige Kaputtmacher. Jener, der den Schlamm küsst, wenn er von den aufgebrachten Bewohnern des Hauses hinuntergeworfen wird und der, der nie das Privileg hat, die schillernde Heldenmedaille um den Hals zu tragen. Ralph ist einsam auf seiner Müllkippe, wo ein Baumstumpf und scharfkantiges Gerümpel die einzigen steten Begleiter sind, die keine Aversionen gegen ihn hegen. Wehmütig schielt er durch die Fenster des Penthouses, wo der heroische Hausmeister Felix gemeinsam mit den Mietern des Penthouses eine Party zu Ehren des dreißigjährigen Spielbestehens feiert inkl. einer dicken Torte, einem personalisierten Feuerwerk und all der Bewunderung und den schmachtenden Blicken der pummeligen und animationsarmen Pixeltantchen. Und obwohl er als der große, bösartige Antagonist essentieller Inhalt des Spiels ist, ist er nicht Teil der Feier, die ausschließlich den strahlenden Siegern vorbehalten ist. Als Ralph sich selbst einlädt, eskaliert die Situation und Ralph ist nicht länger bereit sich mit seinem vom Programmcode determinierten Schicksal abzugeben. Auf das Gelaber der jämmerlichen Bösewichter-Selbsthilfegruppe, wo sich Schurken wie etwa Mario-Widersacher und Prinzessinnen-Entführer Bowser und Sonic-Nemesis Dr. Igor „Eggman“ Robotnik gegenseitig  die Augen ausweinen, draufgeschissen, die einem suggerieren wollen, dass das Schurkendasein nicht zwingend bedeute, ein „böser Wicht“ (O-Ton Zangief aus Street Fighter) zu sein und den Werdegang selbst in die Hand genommen – Ralph will ein Held sein und macht das, was in der Game Central Station unter dem Begriff „den Turbo einschalten“ äußerst verpönt ist – Er bricht aus seinem Spiel aus, eine Handlung, die das Gleichgewicht der Videospielwelten zu erschüttern vermag.

Sein turbulentes Abenteuer und Ringen ums. Heldendasein führt ihn durch die martialischen, endzeitlichen Welten eines Hero’s Duty (Gears of War und CoD lassen grüßen), wo er mit einer Plage von maschinellen Insektenwesen (den „Cybugs“) konfrontiert wird oder aber die bonbonbunten Welten des Fun-Racers Sugar Rush, wo er auf die quirlig bis bekloppte Vannelope van Schweetztrifft, die als vermeintlicher „Glitch“ (oder Bug, fehlerhafte Programmierung) ein „vogelfreies“ Dasein im Code-Untergrund fristet. Auf der anderen Seite will Felix seinen Kollegen zur Besinnung bringen und macht sich auf, das „verlorene Schaf“ wieder heimzuholen. Dabei macht er Bekanntschaft mit der ultraharten Space Marine-Braut Sergeant Tamora Jean Calhoun, welche von den Entwicklern mit einer tragischen Vergangenheit ausgestattet wurde. Im Laufe des Abenteuers beginnt das ungleiche Paar sich auch auf romantischer Ebene anzunähern.

Ralph Reichts ist Familienfilm und Geek-Hommage zur selben Zeit. Um den Film in seiner Gänze zu erfassen, sollte man entweder ein alter Knacker sein, der seine Jugend mit dem ATARI VCS 2600 und C64- und AMIGA-Geräten verbracht hat oder wenigstens eine Passion für klassische Videospielsysteme sein Eigen nennen. Zumindest das erste Viertel des Films ist mit unzähligen Anspielungen auf die Videospielgeschichte gefüllt: Neben altbekannten popkulturellen Größen wie Sonic the Hedgehog, Dr. Robotnik, diversen Street Fighter-Charakteren wie etwa M. Bison, Zangief, Ken, Ryu, Cammy und Chun Li finden sich auch weniger offensichtliche Anspielungen wie etwa der Nashorn-Zwischenboss aus SEGAS Arcade-Titel Altered Beast oder die Präsenz von Q*Bert, der seine Ursprünge auf vergessenen Plattformen wie dem ColecoVision, G7000 oder dem Atari 2600 und Atari 5200 hat. Der drollige Wicht turnt nunmehr als obdachloser Bettler durch die Gassen der Game Central Station. Auch der Zombie, welcher bei den anonymen Bösewichtern fast schon philosophische Beiträge für einen hirnlosen Untoten liefert, scheint direkt aus dem SNES-Titel „Zombies Ate My Neighbours“ zu entstammen

Der Film funktioniert aber wie bereits oben erwähnt in erster Linie als klassisches Disney-Unterhaltungsprogramm für die gesamte Familie und lässt den zitatreichen Videogameplot zu schnell hinter sich. Nach rund zwanzig Minuten beschränkt sich die Handlung lediglich noch auf die fiktiven Welten von Sugar Rush und Hero`s Duty, wobei letztere vermutlich irgendwie noch den Zeitgeist der gegenwärtigen Videospielindustrie mit den innovationsarmen Schlauchshootern auf die Schippe nehmen soll, im Kern aber aufgesetzt wirkt. Ansonsten haben wir das grauzonenlose Disney Handlungs-Kernschema: Bösewicht auf Selbstfindungstrip trifft nervigen aber liebenswerten Side kick – Der wahre Bösewicht spinnt im Hintergrund seine finsteren Fäden und intrigiert geschickt die Charaktere gegeneinander aus – Es kommt zu einem Konflikt unter den Freunden – Der Bösewicht zeigt sein wahres Gesicht, wird bekämpft und schlussendlich das Grand Finale, ein Friede-Freude-Eierkuchen-Bombast-Happy End in all seiner Schmalzigkeit. Die übliche Vorgehensweise wird auch hier nicht über Bord geworfen – aber während etwa ein Shrek damals den zuweilen tiefschwarzen Humor trotz allem liebenswerten Kitsch beibehielt, vernachlässigt Ralph Reichts seine sehr guten Ansätze und wirkt zum Ende hin auf eine merkwürdig farblose Art und Weise brav, fast schon… banal. Hier hätten die Autoren Phil Johnston und Jennifer Lee wesentlich mehr draus machen, zumal es sich bei der Zielgruppe der alternden Geeks (mitsamt deren Kids) wunderbar angeboten hätte.

Technisch gibt sich Ralph Reichts keine Blöße und auch wenn nicht etwa das animationstechnische Niveau von Merida gehalten wird, so erfreuen doch die vielen liebevollen Details wie die vermeintlich zuckeligen Bewegungen der Penthouse-Bewohner, die unendlich vielen Cyborg-Insektenschwärme (Earth Defense Force: Insect Armageddon als Referenz?) und die hübsch designten Figuren und Welten der Game Central Station. Wie der 3D-Effekt sich in dem Film macht, dazu kann ich mich leider nicht äußern, da ich angesichts meines limitierten Budgets ausschließlich die 2D-Variante sichten konnte. Den bisherigen Kritiken zufolge scheint dieser aber angemessen subtil und an den passenden Stellen eingesetzt worden zu sein. Als 3D-Skeptiker bin ich vom Mehrwert der Technologie nach wie vor nicht überzeugt.

Die deutsche Synchronisation hingegen empfinde ich als durchwachsen: Das markige Sprechorgan eines John C. Reilly muss im Deutschen der nöligen Stimme von Christian Ulmen weichen, die  ich als völlige Fehlbesetzung für Ralph erachte. Auch die Stimme von Vannelope ist eher nervenaufreibend – Im Original von Sarah Silverman gesprochen, kann sie dem glitchigen Quälgeist eine authentisch-reduzierte Fassung der nervigen Attitüde abringen – Im Deutschen hingegen wirkt das Mädel einfach nur durchgängig schrill und penetrant. Die Nebenrollen sind hingegen weitestgehend solide besetzt. Auch die Übersetzungen sind zuweilen furchtbar: Wenn aus einem grollenden „I´m Gonna Wreck it!“ ein plumpes, höchst zweckmäßiges „Ich mach es kaputt!“ wird, dann geht da ganz, ganz viel Charme flöten. Ich bin normalerweise niemand, der als elitärer O-Ton Fetischist gelten möchte – Im Gegenteil: Ich würdige die Arbeit unserer Synchronsprecher sehr und empfinde sie oftmals sogar besser als die originalen Voice-Acts – Aber an dieser Stelle empfehle ich jedem, der sich Ralph Reichts ansehen möchte und des Englischen mächtig ist, den Film im O-Ton anzuschauen, sofern das lokale Kinoangebot die Möglichkeit dazu hergibt.  Der Soundtrack ist soweit nicht zu beanstanden, auch wenn ich jetzt nicht zwingend die Einlagen des kalifornischen DJs Skrillexabgefeiert habe.

Kommen wir aber nun zum Fazit: Ralph Reichts ist durchwegs liebenswürdiges Animationskino aus dem Hause Disney, welchem die gehörige Portion Nerdtümmelei gut zu Gesicht steht und die dem Videospiel-Medium ein schönes Denkmal setzt. Die ersten zwanzig Minuten laden zum Schmunzeln ein ob der zahlreichen mehr oder minder versteckten Anspielungen. Schade ist, dass diese Schiene nicht konsequent weitergefahren wurde und man sich stattdessen darauf besann, die eigentliche Handlung von der schönen Exposition abzukoppeln, um die üblichen Disney-Trademarks „durchzuboxen“. Wie das besser geht, hat seinerzeit Shrek – Der tollkühne Held gezeigt. Trotz allem bietet Ralph Reichts gute und kurzweilige Unterhaltung, aus dem die Retro-Videospieler unter uns noch vielleicht ein bisschen mehr schöpfen können. Dann aber bitte in Englisch.

Erwähnung dürfte im Rahmen dieser Rezension außerdem noch der Kurzfilm „Paperman“ finden, der vor dem Hauptfilm gezeigt wird. Eine unheimlich berührende Geschichte, die im stilsicheren 2D-Zeichentrickstil daherkommt, mit wenig Farbe und ohne Worte, dafür mit umso mehr Herz, die ganz großen Gefühle auf die Leinwand bringt. Dieser ist fast schon für sich allein stehend das Geld für die Kinokarte wert.

 

Originaltitel: Wreck-it Ralph

Genre: Animation/Komödie

Verleih: Walt Disney, 2012

Kinostart:  06.12.2012

Offizielle Webpräsenz:

http://www.disney.de/ralph-reichts/

 

Ralph Reichts
  • 7/10
    Story - 7/10
  • 6/10
    Regie - 6/10
  • 7/10
    Drehbuch - 7/10
  • 9/10
    Popkulturelle Referenzen - 9/10
  • 5/10
    Synchronisation - 5/10
  • 9/10
    Animation - 9/10
7.2/10
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