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Deadly Premonition für die Xbox 360 im Review: Hässlich. Eigenwillig. Faszinierend. Ein lynchesker Alptraum.

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Auch wenn man diesen Satz wahrscheinlich mittlerweile zu Genüge gehört hat: Deadly Premonition ist ein wirklich seltsames Spiel,  dass sich grundsätzlich und partout jeglichen konventionellen Wertungsmaßstäben entziehen will.  Es ist unglaublich schwierig die Eindrücke die dieses Stück Software vermittelt adäquat in Worte zu fassen und dessen seltsame Faszination angemessen zu versinnbildlichen. Man kann es wie folgt umschreiben: Deadly Premonition ist wie ein Unfall. Es sieht wirklich grauenhaft aus, jedoch kann man nicht ohne weiteres wegschauen bzw. den Controller aus der Hand legen. Als Spieler schwankt man stets zwischen unverständnisvollem Kopfschütteln, dem gebanntem Blick auf den Fernsehbildschirm und der Frage, was da wohl als nächstes auf einen zukommen möge. Das Spiel aus dem Hause Rising Star Games sieht fürchterlich aus, steuert sich, als befände man sich im Spätstadium einer Polioerkrankung (geschmackslos, ich weiß…) und hat den groteskesten Soundtrack, den man sich vorstellen kann. Die Grafikhuren seien an dieser Stelle gewarnt, für euch wird Deadly Premonition eine Qual sein – Die pure Folter, als würde euch der Raincoat-Killer höchstselbst mit seiner Axt a*** penetrieren, so says Mr. Steward.

Und dennoch: Für mich ist Deadly Premonition mein persönliches GotY 2010. Wie das? Nun, Deadly Premonition hat etwas, was viele AAA-Produktionen vermissen lassen: Nämlich Seele und nebenbei auch einen sehr eigenwilligen, zuweilen obskur wirkenden Humor. David Lynch- und Twin Peaks-Enthusiasten dürfen im Übrigen aufhorchen, denn nicht nur auf den ersten Blick wirkt Deadly Premonition wie eine außergewöhnlich liebevolle Hommage an die kultige Serie aus den 90er Jahren.

BEWEGTE GESCHICHTE

Die Geschichte dieses Machwerkes ist eine bewegte (wenn man nicht gerade Duke-Maßstäbe ansetzt): Ursprünglich für den Playstation 2-Release angesetzt, konnte Entwickler Access Games das gute Stück aufgrund finanzieller Schwierigkeiten zunächst nicht fertigstellen. 2007 wurde das Ganze dann auf der Tokyo Game Show unter dem Namen „Rainy Forests“ (siehe Youtube Trailer) für die Xbox360 präsentiert. Um Twin Peaks „Rip off“-Verschmähungen vorzubeugen, entschied man sich, das Ganze mit neuem Hauptcharakter und diversen ästhetischen Detailveränderungen (ich trauere um die kleinwüchsigen, greisen Zwillinge) neu aufzubereiten. Das Resultat ist das vorliegende undefinierbare Etwas von einem Videospiel. Man danke Gott,  dass die Anlehnung an die Serie beibehalten worden ist, denn gerade das ist es, was einen großen Reiz dieses Titels ausmacht. Verschlafenes Kleinstadtnest meets verschrobbene Bewohner meets surrealistische Momente – Das ist der Stoff aus dem Videospielerträume gemacht sind (meine jedenfalls?). Klaffende Logiklöcher und eine verwirrende Erzählweise sind verschmerzbar, angesichts der höchst spannenden, vor Overacting nur so strotzenden, Inszenierung sowie der Tatsache, dass DP sich sowieso zu keinem Zeitpunkt ernst nimmt.

Im Grunde genommen ist Deadly Premonition das, was Remedies´  Alan Wake hätte sein sollen: Ein Shenmuesques Open World Action-Adventure, welches sich angenehm behäbig spielt und den Entdeckergeist in den naturbelassenen Weiten des Örtchens Greenvale (>Bright Falls) fördert.

RITUALMORDE UND TRASHFILM-REFERENZEN

Rahmenhandlung ist der scheinbare Ritualmord an der jungen, schönen Anna Graham.  Diese wird, gleichsam der Haltung einer Gekreuzigten, halbnackt und mit tiefem Einschnitt in der Brust an einem Baum gefesselt, von zwei (Zwillings)brüdern gefunden. Ein Fall für FBI Special Agent Francis York Morgen, den alle bloß York nennen und der sich eigens dafür in das vermeintlich ruhige Örtchen begibt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dass der Fall nicht ganz so klar auf der Hand liegt, daran trägt nicht zuletzt Greenvales einheimische Bevölkerung eine Rechnung, die alle so ein bisschen von dem abweichen, was man „kooperationsbereit“ nennen dürfte.

Im Prinzip könnte jeder der Mörder sein. Die sicken Greenvaler haben scheinbar alle ihre kleinen und großen Geheimnisse zu verbergen, und verhalten sich entsprechend verdächtig. Seien es nun der ominöse Mr. Steward, der im Rollstuhl gefangene Gasmasken-Träger, der stets über seinen mindestens genauso seltsamen Assistenten in kryptischen, unheilverheißenden Worten kommuniziert,  oder die psychotische Sigourney (auch die Pot Lady genannt, inspiriert von der Log Lady aus Twin Peaks), welche stets einen Kochtopf bei sich trägt, und scheinbar an völligem Realitätsverlust leidet. Doch selbst Greenvales Sheriff George Woodmann (der eine liebevolle Beziehung zu seinen beiden Hanteln „Silvester“ und „Arnold“ pflegt, nein, die Anspielung auf die 80er Jahre Actionhelden ist sicher nicht beabsichtigt) und York selbst haben offenbar schwer einen an der Klatsche, nicht wahr Zach?

Zach? Wer zur Hölle ist Zach? Richtig, Francis York Morgan hat eine gespaltene Persönlichkeit und lässt es sich nicht nehmen, auch im Beisein der Dorfbewohner unverhohlen mit dieser Konversation zu betreiben. Das können wichtige Informationen hinsichtlich der Ermittlung sein, genauso aber herrlich nebensächliche Fachsimpelei über das 70er- und 80er Jahre Trashkino. Da lernt man schon mal was über den grandiosen Cast der „Angriff der Killertomaten“-Reihe. Herrlich! Überhaupt bekommt man leicht den Eindruck, Zack himself sei das Missing Link zwischen York und dem Spieler, das gesamte Werk ein einziges Filmzitat, welches sich selbst als interaktive Schmierenkomödie enttarnt und die Mauer zwischen den Welten dekonstruiert. Aber back to the Topic: Neben seinem Hang zu Selbstgesprächen,  ist York aber auch sonst ein absolut uniquer Charakter. Er ist arrogant, selbstgefällig, weist neurotische Verhaltensmuster auf und ist ganz und gar ein unsensibler, jedoch hochgenialer Soziopath. Mit seiner markanten Narbe unter dem Auge und dem stets listigen Grinsen auf seinem Antlitz, ist er der Inbegriff eines saucoolen Anti-Helden.

GLUCKENHAFTE DETAILVERSESSENE LIEBENSWÜRDIGKEIT 

Mitunter ist es das seltsame Figurengespann aus Deadly Premonition, das einem bleibende Eindrücke ins Hirn bohrt. 24 Stunden in Deadly Premonition umfassen rund 5 Stunden in Echtzeit, die Bewohner haben alle für sich einen individuellen Tagesablauf. Nimmt man sich ausgiebig Zeit, kann man diese sogar durch die Wohnungsfenster bei ihren alltäglichen Aktivitäten beobachten. Da merkt man erst einmal den krassen Kontrast zwischen der artifiziellen Kulisse eines Liberty Cities und seinen leblosen Statisten-Bewohnern und der beinahe gluckenhaften, detailversessenen Liebenswürdigkeit dieses vermeintlichen grafischen Alptraums.

Merkwürdig und faszinierend zugleich ist der Anspruch DP´s eine glaubwürdige, realistische Kleinstadt und Umgebung zu erschaffen, während das Ganze aber immer wieder ganz beiläufig durch ironische Brüche zu verfremdet wird. Es ist beispielsweise ganz geläufig, dass ein Sandwich in einem Automaten für 50 $ zu haben ist, oder dass es für die tägliche Rasur Zuschläge im dreistelligen Bereich gibt.

Das zu erkundende Areal ist erstaunlich weitläufig und bietet eine Fülle von Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Seien es nun kleinere Mini Games wie „Angeln“ oder „Darten“ oder aber diverse Sidequests, bei denen man meistens innerhalb einer bestimmten Zeit von A nach B muss. Nervig ist bloß, dass die Wagen furchtbar langsam sind, sich wie ein mit Wasser vollgesaugter Schwamm steuern und die Fahrtwege furchtbar lang sind (zu allem Überfluss ist es eine Kunst für sich, die kryptische Übersichtskarte zu lesen). Gnade dem, der ein „Radio“ sein Eigen nennt, mit dem man sich direkt an bereits besuchte Orte warpen kann (das Glücksgefühl ist ungefähr so hoch, wie damals bei Pokémon, als man endlich die VM „Fliegen“ erhalten hat). Zudem muss in bester Sims-Manier darauf geachtet werden, Yorks Grundbedürfnisse wie Hunger und Schlaf und Ausdauer zu berücksichtigen, um nicht Teile des Gesundheitsbalkens einbüßen zu müssen.

An den Ermittlungsorten hingegen verwandelt sich das Kleinstadt-Szenario in einen halluzinierenden „Alptraum“, der durch enge, klaustrophobische Schlauchlevels führt:

In diesen Shooter-Sequenzen lehnt sich DP etwa an die Resident Evil 4-Spielmechanik an, steuert sich jedoch deutlich grober. Der moderne Konsolen-Shooter ist es gewohnt, dass man via Triggerbuttons den Abzug drückt. Bei DP hingegen sind die Schultertasten für Seitwärtsschritte verantwortlich, die A-Taste fungiert als Schussbutton, während man mit dem rechten Analogstick zielt. Selbstverständlich ist es nicht möglich, gleichzeitig zu gehen und zu schießen. Das ist sozusagen Ehrensache, weil Tradition verpflichtet und so… Nein ernsthaft, selbst Survival Horror-Urgesteine wie Silent Hill bieten komfortablere Steuerungsoptionen. Daneben gibt es kleinere Rätsel, die ob ihrer herben Anspruchslosigkeit diesen Namen in keinster Weise verdienen. Meist gilt es ein fehlendes Teil für einen defekten Generator, oder einen Schlüssel-Gegenstand für geheimnisvolle Schlossmechanismen zu finden.

Zur Wehr setzt man sich einerseits gegen gespenstische, menschenähnliche Kreaturen,  die einem mit schwarzen, ausdruckslosen Augenhöhlen und kopfüber nach hinten gekrümmtem Körper entgegen getorkelt kommen und stöhnende Laute von sich geben, die mich ein an schmerzerfülltes „Please let us die“ oder „Kill me“ erinnert haben. Diese Wesen kann man sich als eine Mischung aus klassischem Zombie und dem Christopher Nolan´schen Joker aus der jüngsten Batman-Verfilmung vorstellen.

WENIGER BEDROHLICHE, ALS VIELMEHR UNGLAUBLICHE NERVTÖTENDE SURVIVAL HORROR-MOMENTE

Im Allgemeinen empfinde ich Zombies ja als relativ witzige Zeitgenossen, aber bei diesem (selbstzerstörerischen) Kaliber wurde mir  doch schon etwas mulmig bei, zumal ich die abgehackten Animationen, die einen an alte Stop Motion-Filme erinnern, als ziemlich gruselig wahrgenommen habe. Naja, bis zu dem Zeitpunkt, als das ganze Prozedere zur Routine verkam und weniger bedrohlich, als vielmehr unglaublich nervtötend wirkte. Die steifen Kampfsequenzen werden einem zum Glück durch eine Pistole erleichtert, die unendlich Munition mit sich bringt (noch so eine beiläufige Skurrilität aus dem DP-Universum).

Ein anderer Gegner ist der immer wieder auftauchende, furchteinflößende Raincoat-Killer. Diesem muss man in nerven(den)/aufreibenden und langwierigen Verfolgungspassagen durch wildes Analog-Stick Rumgezappel entfliehen (bei denen man sowieso nicht so richtig durchblickt, aus welcher Perspektive das Geschehen gerade beleuchtet wird), oder sich ihm via QTE-Buttonfolgen entgegenstellen. Auch gibt es Sequenzen, in welchen man sich á la Clocktower vor dem rotbekapptem Hünen verstecken muss. Diese Momente sind nicht zuletzt aufgrund der fiesen, durchdringenden Musikuntermalung ungemein intensiv, wenngleich auch aufgrund der störrischen Steuerung ziemlich anstrengend. So kräftezerrend diese Szenen auch sein mögen, so sind sie ein wesentlicher Bestandteil zur Fortführung der Geschichte. In diesen Szenen rekonstruiert York die Tat anhand einzelner Hinweise und Indizien, welche wie Bilderfetzen zu einem Gesamtwerk zusammengefügt werden –  Ob das für den Spieler einen Sinn ergibt, ist wiederum eine gänzlich andere Frage. Überhaupt, Deadly Premonition wirkt stellenweise wie ein dadaistisches (Anti-)Kunstwerk. Wenn zur Autopsie eines übel zugerichteten Leichnams plötzlich flippige Lounge-Musik ertönt, kann es nur unweigerlich zu einer „What the fuck“-Reaktion kommen. Darauf können die Entwickler um Mastermind Swery es nur angelegt haben.

Generell ist der Score etwas, das sich ähnlich wie einige andere Kuriositäten aus dem DP-Universum, unweigerlich in die Gehirnwindungen bohrt. Paradebeispiel dürfte hier das unglaublich ohrwurmtaugliche Whistle-Theme sein, doch auch das trashige Detective-Theme oder das bedrückende Mysterious-Theme bleiben auch über die Spielzeit hinaus im Ohr haften.

Mein persönlicher Favorit ist der Intro-Song „The Woods and the Goddess“, selten sowas geiles in einem Videospiel gehört – hat etwas von Simon and Garfunkel´schem „Scarborough Fair Canticle“. Zwar laufen die einzelnen akustischen Ergüsse in mal mehr,  mal weniger gelungenen Dauerschleifen ab und sind auch nicht immer ganz so passend gesetzt (euphemistisch ausgedrückt). Aber das skurille Timing sorgt in Kombination mit einigen schrägen Szenen für ein paar herzliche Lacher.

Fazit:

Man möge mir verzeihen, wenn ich mich mit fremden Federn schmücke und den allzu oft genannten Begriff des sogenannten spielbaren „B-Movies“  aufgreife, aber eine bessere Umschreibung ist schlicht nicht möglich. Deadly Premonition ist ein polarisierendes, man könnte fast sagen schizophrenes,  Konglomerat von einem Videospiel, dass alle möglichen, vermeintlichen Gegensätze in sich vereinen möchte. Technisch hoffnungslos veraltet, trägt Deadly Premonition diese eigentlich schwere Bürde bewusst provokativ vor sich her, als würde es aus allen Kehlen schreien:„Seht her, ich bin was Besonderes“ – Und Recht hat es damit! Veraltete Gameplay-Mechanismen, ungenaue Steuerung – Ich kann nachvollziehen, warum etwa IGN nur 2 Punkte vergeben möchte. Aber auf der anderen Seite: Das was Deadly Premonition gut macht, macht es nahezu perfekt. Wäre Deadly Premonition technisch und spielerisch auf der Höhe der Zeit – wir hätten es hier mit einem Meisterwerk zutun, für das  ich ohne mit der Wimper zu zucken, die Höchstwertung aus dem Gepäck geholt hätte. So haben wir es hier mit einem zutiefst außergewöhnlichen Videospiel zutun, dessen junger Kultstatus  in meinen Augen absolut gerechtfertigt ist.

 

Getestete Version

UK Fassung (Xbox360)

Sprachen

Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch

Schnitte

Nein

Multiplayer & Sonstiges

Eine jap. PS3-Fassung mit dem Titel „Red Seeds Profile“ ist über Import-Wege erhältlich.

Englische Sprach- und japanische Textausgabe.

 

Deadly Premonition [Xbox 360]
  • Geschichte
  • Inszenierung/Regie
  • Grafik
  • Sound(track)
  • Pacing
  • Spielwelt/Details
  • Missionsdesign
3.4

Fazit

Man möge mir verzeihen, wenn ich mich mit fremden Federn schmücke und den allzu oft genannten Begriff des sogenannten spielbaren „B-Movies“  aufgreife, aber eine bessere Umschreibung ist schlicht nicht möglich. Deadly Premonition ist ein polarisierendes, man könnte fast sagen schizophrenes,  Konglomerat von einem Videospiel, dass alle möglichen, vermeintlichen Gegensätze in sich vereinen möchte. Technisch hoffnungslos veraltet, trägt Deadly Premonition diese eigentlich schwere Bürde bewusst provokativ vor sich her, als würde es aus allen Kehlen schreien:„Seht her, ich bin was Besonderes“ – Und Recht hat es damit! Veraltete Gameplay-Mechanismen, ungenaue Steuerung – Ich kann nachvollziehen, warum etwa IGN nur 2 Punkte vergeben möchte. Aber auf der anderen Seite: Das was Deadly Premonition gut macht, macht es nahezu perfekt. Wäre Deadly Premonition technisch und spielerisch auf der Höhe der Zeit – wir hätten es hier mit einem Meisterwerk zutun, für das  ich ohne mit der Wimper zu zucken, die Höchstwertung aus dem Gepäck geholt hätte. So haben wir es hier mit einem zutiefst außergewöhnlichen Videospiel zutun, dessen junger Kultstatus  in meinen Augen absolut gerechtfertigt ist.

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