Start Reviews Conarium auf dem PC im Review: Hinter den Toren des Bewusstseins

Conarium auf dem PC im Review: Hinter den Toren des Bewusstseins

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„The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of unknown“ – H.P. Lovecraft

Der Einfluss von H.P. Lovecraft auf das Horror-Genre ist nicht von der Hand zu weisen. In der Tradition des Schauerromans des 19. Jahrhunderts stehend hat der eigenbrötlerische Lovecraft zeitlebens nur wenig Beachtung als Literat gefunden. Neben den großen Modernisten wie Ernest Hemingway, T.S. Eliot oder Scot Fitzgerald wirkt das literarische Vermächtnis vergleichsweise bescheiden und anachronistisch. Und während nahezu alles an Horror-Literatur seinen Ursprung in den Geschichten Edgar Alan Poes findet, so hat Lovecraft mit seiner „Weird Fiction“ einen bemerkenswert frischen, modernistischen Impact ins Horror-Genre gebracht – Den Kosmische, das Wissenschaftliche und den mythologischen Charakter. Mit seinen vornehmlich in semiprofessionellen Pulp-Magazinen untergebrachten Stories schuf er einen kleinen, aber qualitativ äußerst hochwertigen Korpus an fiktionalen Stories, die bis heute einen erheblichen Einfluss auf das Schaffen von so Künstlern wie Stephen King, Clive Barker, Alan Moore, Guillermo del Toro und auch H.R. Giger haben. Und in einer Zeit, in der die Gottheit Ctuluh als Plüschfigur zu haben ist und Filme auf das Necronomicon, das Buch der Toten, verweisen, ist klar, dass Lovecraft in jedem Falle relevant bleibt.

Art Deko und schummrige Laboratorien: Conarium fängt den Zeitgeist der Moderne gut ein

Dahingegen ist die Anzahl von Video- und Computerspielen, die H.P. Lovecraft als Vorbild nehmen ist vergleichsweise limitiert. Neben dem Gamecube-Survival Horrortitel „Eternal Darkness: Sanity’s Requiem“ (mit seinen grandiosen Mindfuck-Momenten), kam 2005 das auf „Call of Ctuluh“ basierende „Dark Corners of the Earth“ für die klassische Xbox und den PC. Zurzeit erfährt die Marke Lovecraft aber eine Art Renaissance – Neben dem auf der E3 vorgestellten „Call of Ctuluh: The Official Video Game“ erschien jüngst das von der türkischen Videospielschmiede Zoetrope Interactive und über das niederländische Iceberg Interactive-Label vertriebene Conarium. Die sind nicht ganz unbefleckt, was Lovecraft-inspirierte Adventures angeht, konnte das Istanbuler Studio doch bereits mit dem 2007er Werk Darkness Within: In Pursuit of Loath Nolder in diesem Metier auf sich aufmerksam machen.  Das jüngste, auf der Unreal 4-Engine basierende, Adventure orientiert sich lose an der Geschichte „At the Mountains of Madness“ – Kann der Titel stimmigen Horror der Marke Lovecraft beschwören oder geht das Spiel in der Masse an Horror-Titeln zwischen Hochkarätern wie Amnesia und Outlast unter?

KEIN LOVECRAFT OHNE PSYCHISCH DESOLATEN HELDEN

Zunächst: Keine H.P. Lovecraft Versoftung ohne psychisch desolaten Helden – Die Erzählung beginnt wie so häufig mit einer Amnesie. Alleine und umgeben von einer seltsam fiependen Maschine, dem namensgebenden Conarium, wacht unser Protagonist Frank Gilman auf einer scheinbar verlassenen Forschungsstation in der Antarktis auf und kann sich an die Geschehnisse, die unmittelbar nach der Errichtung der Station folgten, in keinster Weise erinnern. Was wir wissen: Im Rahmen der Upuaut-Expedition unter der Leitung von Dr. Faust werden in der Antarktis Experimente zu den Grenzen des menschlichen Bewusstseins durchgeführt, in Auftrag gegeben durch das anthropologische Institut der Miskatonic-Universität – Als Frank Gilman sind wir Teil dieser Expedition gewesen. Aber wo ist die Crew hin? Warum ist der Strom ausgefallen? Was hat es mit den fragmenthaften Gedankenfetzen auf sich und den alptraumhaften Sequenzen, die immer wieder unsere Wahrnehmung beeinträchtigen? Vermochte Gilman mit dem Conarium auf die andere Seite zu sehen?

FRAGMENTIERTE NARRATION

Die Geschichte wird ähnlich wie bei Gone Home, Dear Esther oder Firewatch über die Erkundung der Spielewelt erzählt – Meist finden wir Briefe, Notizen, Tagebucheinträge und Forschungsunterlagen, welche die Zusammenhänge näher erklären. Es gibt vergleichsweise viel zu lesen, allerdings sind die Texte qualitativ durchaus hochwertig geschrieben und vermitteln ein stimmiges Lovecraft-Flair. An der Stelle merkt man, dass die Mannen von Zoetrope Interactive sich mit Leidenschaft und Herzblut an den Stoff annähern. Auch in „Conarium“ deckt man in der Rolle Gilman’s schließlich die Backstory um Mysterien aus dem All, uralte Zivilisationen und die sogenannten „Großen Alten“ (The Old Ones) auf, die bereits in „Berge des Wahnsinns“ eine Rolle spielen. Auf Protagonisten aus der besagten Geschichte trifft man zwar nicht, dennoch ist Conarium mit etlichen Querverweisen zur Vorlage gespickt, welche die Geschichte klar erkennbar im selben Universum verorten.

Streckt  sich die durchaus lineare Erzählung in der ersten Stunde noch ein wenig, ohne dass man als Spieler so recht weiß, wohin die Reise gehen soll, so zieht die Narration ab einem gewissen Zeitpunkt merklich an. Dann entfaltet sich durchaus Spannung und Suspense und es macht Spaß, in diese fremdartige Welt einzutauchen. Bis dahin braucht man allerdings einen vergleichsweise langen Atem. Belohnt wird der Spieler je nach Abzweigung im Spiel mit einem von zwei möglichen Enden. Einplanen kann man für den bewusstseinserweiternden Trip rund 10 Stunden, wenn man sich ausgiebig Zeit lässt. Flotte Spieler werden vermutlich in 4-5 Stunden durch sein.

Verzerrte Visionen von seltsamen Welten plagen den Protagonisten Frank Gilman

THE WANDERER AND HIS RIDDLES

Spielmechanisch lässt sich Conarium im Metier der Wandersimulatoren verorten. Ich hatte eingangs Titel wie Gone Home und Dear Esther und ihre Ähnlichkeit im Hinblick auf den narrativen Charakter erwähnt; Tatsächlich ist auch spielmechanisch über weite Strecken eine sehr große Ähnlichkeit zu den genannten Referenzen gegeben. Man erforscht die verlassene Forschungsstation aus der Ego-Perspektive, löst kleine Rätsel und lässt sich von der soghaften Atmosphäre gefangen nehmen. Die Rätsel erfordern allerdings nicht sonderlich viel Gehirnschmalz und sind zumeist lokal angesiedelt, d.h. es gilt an Punkt A eine Kurbel zu beschaffen, um sie an Punkt B in die entsprechende Halterung einzusetzen. In einem Rätsel relativ zu Beginn gilt es etwa zwei Hebel passend zu synchronisieren, um einen Oszillator in Gang zu bringen, der eine bizarre, redselige „Roboterbüste“ aktiviert. Auch mit weiterem Fortschritt gewinnen die Rätsel nicht nennenswert an Anspruch: Selbst in den geheimnisvollen Artefaktkammern mit hochtechnologischen Relikten zieht der Schwierigkeitsgrad nicht merklich an. Neben den einfachen Schalterpuzzles finden sich noch diverse Symbolrätsel, die vielleicht mal den Einsatz von Stift und Papier erfordern, meist aber auch recht zackig gelöst sind. Ansonsten ist die Reise relativ einsam: Wirkliche NPC’s oder nennenswerte Dialoge gibt es nicht. Die traumhaften Sequenzen und Flashbacks werden zumeist durch seltsam fremdartige Pflanzen getriggered. Allerdings werfe ich das dem Titel nur beschränkt vor: Denn als Story- und erkundungsbasierter Wandersimulator sind die Rätsel ohnehin nur ein nettes Schmankerl, die der Auflockerung dienen sollen, um das Pacing nicht merklich zu schmälern.

Eine roboterhafte Büste spricht in Rätseln zu Frank

ARCHAISCHE TECHNIK, BEKLEMMENDE KLANGLANDSCHAFTEN UND SUBTILER HORROR

Was das Spiel richtig gut kann, ist das Audiovisuelle – Die Unreal 4-Engine sorgt für einige richtig stimmungsvolle Bilder, welche den Zeitgeist der Moderne, also des frühen 20. Jahrhunderts, adäquat vermitteln. Der technische Unterbau sorgt für einige beeindruckende, Screenshot-taugliche Lichtspiele und auch die hochaufgelösten Texturen können sich sehen lassen. Richtiger Horror ist dabei selten angesagt, es ist vielmehr dieses wohlige Lovecraft-Gruseln, dieses Gefühl des Unbehagens, das sich auch durch Conarium zieht. Es gibt sicherlich die ein oder andere Leiche, aber Gorehounds werden nicht auf ihre Kosten kommen. Sicherlich, auch den einen oder anderen Jumpscare gibt es auch hier, aber im Wesentlichen schöpft Conarium seinen Vibe aus der unheilvollen Atmosphäre. Speziell der bereits oben genannte Abschnitt, wo man durch ein weitverzweigtes, von Außerirdischen errichtetes Höhlensystem mit seinen bizarren Wesen wandert, ist visuell atemberaubend und atmosphärisch äußerst dicht. Untermalt werden die wuchtigen Bilder mit entsprechenden Klangkulissen: Harsche, unterkühlte Synthies, vereinzelte Glockenschläge bilden das Fundament für einen mysteriösen Score, der eher dezent in den Hintergrund gemischt ist. Ab und an wartet man mit Flöteneinlagen und Streichern auf, die für ein wenig Dramatik sorgen. Im Wesentlichen spiegelt der Score aber den mysteriösen, ungreifbaren – beinahe paranoiden Vibe der Erzählung und der visuellen Präsentation wieder.

Auch die Sprecher sind passend gecastet und verstärken die immersive Atmosphäre. Zwar sind die Dialogparts relativ limitiert, dennoch wirkt das Voice Acting durchweg gelungen. Gesprochen wird allerdings nur englisch, mit der Option der Untertitelung. Die Lokalisierung ist allerdings eine zwiespältige Angelegenheit: Einige seltsame syntaktische Konstruktionen finden sich ebenso, wie semantisch schlampige Übersetzungen: Die Abschlussarbeit „thesis“ wird dann im Deutschen schnell zur „These“.  Wäre vermeidbar gewesen, allerdings kann ich auch hier nachvollziehen, dass die Ressourcen bei Iceberg Interactive beschränkt sind.

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Fazit: 

Conarium hat mir gut gefallen – Alle, die einen atmosphärisch immersiven Lovecraft-basierten Walking Simulator genießen wollen, finden in Conarium eine ansprechende Versoftung der „Berge des Wahnsinns“-Vorlage. Die Texte sind sehr gut geschrieben, die Geschichte äußerst spannend, wenngleich sie ein wenig braucht, um aus den Puschen zu kommen – Visuell setzt man auf die Stärken der Unreal 4-Engine und schafft in Symbiose mit dem unheilvollen Sounddesign einen gruseligen, weil ungreifbar-abstrakten Vibe. Bluttriefenden Horror gibt es nicht, eher ein stetiges Gefühl der Anspannung und Unsicherheit. Adventure-Puristen werden vielleicht wegen des fehlenden Anspruchs der Rätsel enttäuscht sein, andere Spieler sollten sich vom etwas zähen Anfang nicht abschrecken lassen. Conarium funktioniert als das, was es sein will: Ein atmosphärisch dichter Wandersimulator der Marke Dear Esther und ein Kniefall vor der Weird Fiction.

Conarium (PC)
  • Geschichte
  • Grafik
  • Sound
  • Spielmechanik
  • Pacing
3.2

Kurzfassung

Conarium hat mir gut gefallen – Alle, die einen atmosphärisch immersiven Lovecraft-basierten Walking Simulator genießen wollen, finden in Conarium eine ansprechende Versoftung der „Berge des Wahnsinns“-Vorlage. Die Texte sind sehr gut geschrieben, die Geschichte äußerst spannend, wenngleich sie ein wenig braucht, um aus den Puschen zu kommen – Visuell setzt man auf die Stärken der Unreal 4-Engine und schafft in Symbiose mit dem unheilvollen Sounddesign einen gruseligen, weil ungreifbar-abstrakten Vibe. Bluttriefenden Horror gibt es nicht, eher ein stetiges Gefühl der Anspannung und Unsicherheit. Adventure-Puristen werden vielleicht wegen des fehlenden Anspruchs der Rätsel enttäuscht sein, andere Spieler sollten sich vom etwas zähen Anfang nicht abschrecken lassen. Conarium funktioniert als das, was es sein will: Ein atmosphärisch dichter Wandersimulator der Marke Dear Esther und ein Kniefall vor der Weird Fiction.

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